Montags-Gegen-Demo: Sprache entlarvt euch

Veröffentlicht am 5. September 2023 um 15:11

Rede vom 04.09.2023 - Daniel Preißler

 

Schön, dass ihr alle da seid. Wieder einmal. Seit einigen Wochen treffen sich montags hier auf der Berliner Straße Menschen, die es nicht mit ansehen könne und wollen, wie Woche für Woche die Montagsdemonstrant:innen durch die Straßen unserer Stadt ziehen.

 

Selbst am letzten Montag waren es hier wieder rund 60 Menschen, die im strömenden Regen für ein buntes, für ein antifaschistisches Görlitz Haltung gezeigt haben. An dieser Stelle ein Dankeschön an die Anmelder:innen, Ordner:innen und nicht zuletzt an alle Teilnehmer:innen.

Auch heute sind wir wieder hier. Wir werden oft gefragt, was es denn bringen würde, wenn wir uns hier gegenseitig anbrüllen. Ehrlich gesagt, sehe ich persönlich auch keinen Sinn im Anbrüllen. Zumindest werden wir niemanden davon überzeugen, dass man da mit Rechtsextremen läuft. Mit diesen Demos hier werden wir auch keinen Menschen von der Montagsdemo überzeugen, noch einmal nachzudenken und sich daran zu erinnern, dass mit der AfD oder rechtsradikalen Gruppierungen, wie auch schon 1939 aus einer demokratischen Wahl heraus ein Nährboden für eine neue Diktatur geschaffen werden kann. Auch wenn wir hier ruhig stehen und mit klarem Blick diese Menschen an uns vorbeiziehen lassen werden wir so niemanden überzeugen.

 

Und trotzdem sind wir hier.

 

Meinungen in einer Demokratie und dann auch noch konträr zu eigenen Überzeugung auszuhalten, ist wohl einer der schwersten Übungen in diesen Tagen. Wir erkennen das Recht auf freie Meinungsäußerung an. Zeigen trotzdem oder gerade deshalb jeden Montag hier Haltung gegen das, was auf den Montagsdemos verbreitet wird. Wir zeigen Gesicht gegen den Rechtsruck, für Demokratie, für diesen Staat in dem sicher nicht alles für jeden immer gut und richtig läuft.

 

Wir sind hier.

 

Wir sind hier, weil wir Parallelen zur Weimarer Republik sehen. Wir sind hier, weil auch heute wieder einfache Lösungen für komplexe Probleme gesucht werden. Wir sind hier, weil die vom reichen Westen ausgehende Globalisierung, weil die Raffgier der Menschen in der westlichen Welt, weil der Kolonialismus und seine unabdingbaren Folgen, weil der Antifeminismus, weil die dramatischen Klima-Veränderungen auf diesem Planeten uns alle vor unglaubliche Herausforderungen stellen.

 

Wir sind hier, weil wir eine bunte Mischung von Menschen sind, die mit Ihren Mitteln den Rechtsruck stoppen wollen. Dazu gehören diese Montags-Gegen-Demos. Die einen brüllen hier ihre Parolen, die anderen zeigen Haltung, indem sie für ein buntes Görlitz mit Fahnen und Bannern stehen, wieder andere reihen sich ein und wollen nicht zu Hause sitzen, wollen etwas machen, und finden hier einen ersten Anknüpfungspunkt.

 

Das alles ist gut so. Danke, dass ihr immer und immer wieder auf die Straße geht!

 

Und ich kann euch verraten - wir haben noch mehr Veranstaltungen geplant. Wir als Görlitz bleibt BUNT laden euch außerdem ein, uns mit euren Ideen anzuschreiben, anzusprechen, mit uns in Kontakt zu treten. Wir bereiten gerade die nächsten kleinen und größeren Veranstaltungen ausserhalb der Montags-Gegen-Demos vor und freuen uns über eure Unterstützung. Denn eines ist klar: wir brauchen nicht nur Proteste wir benötigen Aufklärung, Informationsveranstaltungen und Gesprächsformate. Wir wissen, dass es nicht darum geht Lösungen vorzugeben - nein, wir müssen Sie gemeinsam entwickeln, wir dürfen in den Austausch gehen, wir haben das große Geschenk der demokratischen Diskussion. Also, herzliche Einladung: schreibt uns bei Facebook, Instagram, X (ehemals twitter), Mastodon, über unsere Internetseite oder auch via Email! Herzliche Einladung gemeinsam sichtbar und aktiv zu werden.

 

Doch kommen wir zum heutigen Motto: Rechtsradikale Gedanken in Worte verpackt-Sprache entlarvt eure Demokratiefeindlichkeit.

 

Sprache ist eine der schärfsten Waffen. Und in Kombination mit den sozialen Medien ist sie das Hauptinstrument aber auch Erkennungsmerkmal der neuen Rechten. Macht euch damit vertraut, setzt euch damit auseinander. Wenn wir an das dritte Reich denken, dann ist einer der mächtigsten Menschen Joseph Goebbels gewesen. In seiner Rolle als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda war er einer der wichtigsten Personen für die Nazis. Schon damals nutzten diese höchst effektiv die modernen Medien - Film und Radio. Sie verbreiteten Vorurteile, schürten Ängste und säten Hass in die Herzen der Menschen, die nach dem ersten Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise tiefste Täler durchschritten hatten.

 

Und wenn wir hier jeden Montag darauf aufmerksam machen, dass sich Menschen mit Ihrem Frust rechtsradikalen Rattenfängern anschließen, dann genau deshalb. Es sind wieder die Menschenfänger unterwegs. Sie nutzen so wie auch schon vor 90 Jahren die modernen Medien und stellen scheinbare Verbindungen her, wo es diese gar nicht gibt. Und auch heute ist die Sprache wieder einmal der stärkste Ausdruck ihrer Lockmittel, die schnell von frustrierten und verunsicherten Menschen übernommen wird. Drei Begriffe, die höchst problematisch sind, werde ich jetzt kurz ansprechen.

 

  1. „Lügenpresse“ - dieser Begriff tauchte erstmals 1914 auf. Dort schrieb Reinhold Anton die Kriegspropaganda „Der Lügenfeldzug unserer Feinde“ und später: „Die Lügenpresse“. 1918 nutzte das Kriegspresseteam die selbige in dem Band: „Die Lügenpresse unserer Feinde“. Als eines der Lieblingswörter Josph Goebbels wurde dieser Begriff dann endgültig mit Antisemitismus und Antikommunismus aufgeladen. Er nutze es um Kritiker zu denunzieren und Alfred Rosenberg, einer der führenden Ideologen der NSDAP, konstruierte die Lügenpresse als Gegensatz zum reinen Willen des Volkes und dessen Darstellung. Seitdem gehört dieser Begriff zum Standardvokabular der extremen Rechten in Deutschland. Wer dieses Wort benutzt sagt nichts anderes als: Wer nicht meiner Meinung ist, der lügt. Und wenn eigentlich ganz viele meine Meinung teilen – auch geschenkt, denn es ist schön bequem, Ressentiments und Hass hinter der Position des Unterdrückten zu verstecken. Was man sagt, wirkt schön authentisch, und nicht so aufgesetzt (= verlogen) wie in den Medien, die zumindest meist abwägen und kontextualisieren. Übrigens verwendete auch ein anderes totalitäres System in Deutschland diesen Begriff: in der DDR war immer wieder von der kapitalistischen Lügenpresse die Rede.
  2. „Der große Austausch“ - dieser Begriff geht auf den frz. Autor Renaud Camus zurück. Er hat ihn 2010 in seinen Texten verwendet und er beschreibt damit den Prozess eines vermeintlichen Bevölkerungsaustausches, den liberale und linke Eliten vorantreiben sollen. Die einheimische-europäische Bevölkerung soll durch „Masseneinwanderung“ von nicht weißen Migrant:innen ersetzt werden. Hier schaffen es die Rechten gleich zwei Feindbilder zu framen (also in ein Deutungsraster zu bringen): zum einen gegen die äußeren Fremden und zum anderen gegen die inneren „Eliten“. Letztendlich werden damit rassistische und antisemitische Vorstellungen aktiviert. Wenn ihr also von Umvolkung oder auch Remigration hört oder lest, ist hier nichts anderes gemeint, als der rechtsradikale, verschwörungserzählerische Gedanke des großen Austauschs.
  3. Als dritten Begriff hört man auch auf dem Postplatz immer wieder das Wort „Asyltourismus“. Durch gezieltes Framing wollen extreme und neurechte Akteure die Unterstützung von Geflüchteten und die Seenotrettung im Mittelmeer verunglimpfen. Die Rede von der „Asylindustrie“ unterstellt, dass hinter humanitären Motiven Geschäftsinteressen verborgen seien, weil die Zivilgesellschaft und soziale Einrichtungen durch erhöhte staatliche Zuwendungen und Förderprogramme von steigenden Zahlen von Geflüchteten profitieren würden. Geflüchteten wird vorgeworfen, unter dem Deckmantel des Asyls vor allem Sozialleistungen beziehen zu wollen. Mit dem beschönigenden Begriff „Asyltourismus“ werden die lebensbedrohliche Realität der Flucht verharmlost und die brutalen und illegalen Zustände an den europäischen Außengrenzen verdrängt. Jeder Mensch mit nur ein bisschen Weitblick sollte verstehen, dass dieser Begriff nicht zur Lösung der großen Fluchtbewegungen auf unserem Planeten führt. Dieser Begriff diffamiert, verhöhnt und entwürdigt all jene, die die unmenschlichen Bedingungen einer unvorstellbaren Fluchtroute auf sich nehmen.

 

 

Dies alles sind Begriffe, die keine Diskussion eröffnen, sondern ihren alleinigen Wahrheitscharakter ausser Frage stellen. Letztendlich bedienen sie aber nur ein Ziel: die Auflösung der Demokratie, die Beschneidung der Meinungsfreiheit, das Schüren von Vorurteilen und die pauschale Verurteilung sämtlicher Menschen, die nicht in das eigene Weltbild passen.

 

In den kommenden Wochen werden wir auf unseren Kanälen in den sozialen Medien und auf unserer Homepage weitere eindeutige Begriffe erklären aber auch Broschüren und Aufklärungsmaterial verlinken. Schaut vorbei und informiert euch für Diskussionen und Gespräche im Freundeskreis, in der Familie und am Arbeitsplatz. Das muss unser Ziel sein: mit Menschen, die sich ködern lassen, die auf der Suche nach einer Antwort sind, ins Gespräch zu kommen. Auch der Rapper FLAIZ hat es letzte Woche noch einmal betont: der Dialog lohnt sich! Das persönliche Gespräch kann helfen. Aber auch, dass denjenigen, die den rechtsradikalen Hass schon tief in ihren Herzen tragen nicht mehr zu helfen ist.

 

Wenn jetzt gleich die Montagsdemonstrant:innen vorbeiziehen, bleiben wir -wie Immer- friedlich. Zeigt auf eure eigene Art, das wir den rechten Einheitsbrei aus Rassismus, Verschwörungserzählungen und Hass nicht teilen, und es keinen Grund gibt in unserer funktionierenden Demokratie den neuen Rechten eine Plattform zu geben. Stehen wir zusammen, auch heute gemeinsam klare Kante gegen Rechts!

 

Danke für eure Aufmerksamkeit.